Noras Geschichte von der Angst

Unter der Kategorie „Die Mutmacherinnen“, möchte ich Frauen aus unserer Community eine Möglichkeit bieten, um mit ihren Herausforderungen und Erfahrungen, anderen Mut zu machen. Egal, ob es sich um eine überwundene Krankheit handelt, um einen Schicksalsschlag oder ein anderes einschneidendes Erlebnis, alle Geschichten verdienen es erzählt zu werden.
*Triggerwarnung: Psychische Erkrankung I Zwangsgedanken (Suizid)

© Alex Franchi

Nora heißt nicht wirklich Nora. Ihr Name wurde auf ihren Wunsch hin geändert, denn sie möchte gerne anonym bleiben und trotzdem hier mit uns ihre Geschichte teilen.

Nora ist 25 Jahre alt, als sie immer wieder bemerkt, dass sie sich innerlich angespannt und ruhelos fühlt, sie sich schlechter konzentrieren kann und all ihre Aufgaben im Job und zuhause enorm viel Anstrengung kosten. Es vergehen einige Monate und obwohl sie regelmäßig zur Psychotherapeutin geht und sich coachen lässt, aber auch einschneidende Erlebnisse der letzten Jahre aufarbeitet – denn die hat es ganz klar gegeben, wird Noras Situation immer schlechter. Auch eine Auszeit von der Arbeit und allem anderen, sowie ausreichend „Selfcare“, helfen ihr nur über kurze Zeit hinweg. Danach kommt dieses schrecklich unangenehme Gefühl wieder zurück. Es schleicht sich ganz allmählich ein, lähmt nicht nur Noras Körper, sondern auch ihre Gedanken. Mittlerweile leidet Nora in regelmäßigen Abständen an Panikattacken: Mitten in der Nacht schreckt sie hoch, bekommt keine Luft, ihr wird schlecht, sie muss sich übergeben. Noras Beine werden dann ganz schwach, ihre Knie sacken unter ihr zusammen und Nora fällt. Nora fällt dann nicht nur auf den Boden, wo auch immer sie gerade steht. Sie fällt ins Bodenlose, auch innerlich. Nach einer Panikattacke fühlt sie sich doch für ein paar Stunden erleichtert, so als wäre der Überdruck abgelassen worden. Doch dann nistet sich dieses schwarze Monster wieder rasch in ihr ein.

Als sich Noras Zustand urplötzlich und ganz drastisch verschlimmert, hat sie enorm furchteinflößende Gedanken, die sie nicht mehr kontrollieren kann. Sie muss immer wieder daran denken, dass sie sich das Leben nehmen wird und bald sterben wird. Doch diese Gedanken gehören überhaupt nicht Nora. Es sind überhaupt nicht ihre Gedanken. Sie fühlt sich wie ferngesteuert und fremdbestimmt, doch Nora liebt Kontrolle und Struktur, Klarheit und Sicherheit. Diese Gedanken jagen ihr eine unheimliche Angst ein, sie hat das Gefühl, hier und jetzt zu sterben, so vernichtend fühlt sich dieser Moment an. Heiße und gleichzeitig eiskalte Schauer laufen ihr über den Rücken, sie beginnt stark zu schwitzen, muss sich hinsetzen, weil sie sonst stürzen würde, weiß sie. Und noch etwas weiß sie ganz sicher: „Ich brauche Hilfe! Jetzt und sofort! Auf der Stelle!“ Also ruft sie bei einer Psychaterin an, die ihr noch am selben Tag einen Termin gibt, denn auch sie erkennt, dass die Lage ernst ist.
Am Nachmittag ist es so weit. Nora hat zum ersten Mal die Möglichkeit, all ihre Gefühle, Gedanken und Empfindungen zu beschreiben und weiß sich sofort in guten Händen. Die Ärztin ist aufmerksam, hört ihr zu und stellt die richtigen Fragen. Außerdem gibt sie Nora ein starkes Beruhigungsmittel und seit Monaten fühlt sich Nora endlich und wirklich leichter. Mit der vorläufigen Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung – PTBS“, zwei Rezepten und ganz viel Hoffnung, macht sich Nora auf den Heimweg, denn sie weiß jetzt: „Ich bin nicht verrückt! Ich bin krank und mir kann geholfen werden.“

© Alex Franchi

Nora beginnt mit der Einnahme eines Anti-Depressivums und einem Beruhigungsmittel. Sie ist darüber aufgeklärt, dass die ersten Tage ihre Symptome verstärkt auftreten können, das liegt an der Gewöhnung an die Medikamente. In dieser Zeit kann und möchte Nora nicht alleine sein, denn die Angst kommt und geht mit teilweise heftigen körperlichen Reaktionen. Nora schläft viel und ihre Familie kümmert sich um sie. Noch weiß niemand so richtig, wohin das noch führen wird.
Als es im Rahmen einer Therapiesitzung zu einer Retraumatisierung kommt, spitzt sich die Lage wirklich ernsthaft zu. Nora leidet jetzt unter Zwangsgedanken, was so viel bedeutet wie, Gedanken, die nicht von Nora selbst kommen beziehungsweise Gedanken, die sich ihr aufdrängen, die sich reinschleichen. Zusätzlich zur Dauermedikation, die sie seit einigen Tagen erhält, bekommt sie starke Tropfen mit denen sich Nora endlich beruhigen und entspannen kann. „Ich fühlte mich ständig so gestresst, als würde mir jemand eine geladene Pistole an den Kopf halten. Ich hatte keine Luft mehr zu atmen, konnte nicht mehr schlafen, nichts mehr essen, nicht mehr klar denken. Mein ganzer Tag war von Angst bestimmt, die mich fest im Griff hatte und mich beherrschte. Lange hab ich aber überhaupt nicht gewusst, dass dieses vernichtende Gefühl, das ich fühlte, Angst ist. Als mich dann meine Psychiaterin fragte, ob ich Angst hätte, war ich so erleichtert, denn ich konnte meinen Zustand endlich benennen!“

© Alex Franchi

Heute geht es Nora gut. Sie ist stabil und kann großteils ihr Leben so leben, wie sie das möchte. Ihre Angst ist noch immer da, mal mehr und mal weniger, doch Nora hat gelernt damit umzugehen. Nora befindet sich weiterhin in Behandlung bei ihrer Psychiaterin und ihrer Psychologin und Therapeutin. Sie hat sich ein festes Netz errichtet, das sie in schwierigeren Zeiten auffängt und ihr im Alltag Halt gibt. Nach wie vor hat sie immer wieder kleinere und größere Angstzustände, sie aber selbst managen kann. Jetzt hat nicht mehr die Angst Nora im Griff, sondern Nora die Angst. Sie weiß was ihr gut tut und auch was sie triggert. Sie weiß, dass sie ausreichend Schlaf braucht und Ruhepausen, sie weiß, dass ihre eine feste Tagesstruktur hilft sich sicher zu fühlen. Nora achtet ganz bewusst auf sich selbst und ihre Bedürfnisse. Regelmäßig zu essen, ausreichend zu trinken, Sport und Yoga helfen ihr ausgeglichen zu bleiben.
Mittlerweile ist Nora wieder berufstätig, studiert zusätzlich und plant gemeinsam mit dem Mann an ihrer Seite, ihre gemeinsame Zukunft.

Solltest du das Gefühl haben, dass du psychologische Hilfe brauchst, kannst du dich in Österreich z.B. an folgende Stellen wenden:

144 – Rettung, für akute Notfälle
142 – Telefonseelsorge
147 – Rat auf Draht für Kinder und Jugendliche

Weitere Informationen findest du hier: Notfallkontakte in psychiatrischen Krisen und Ausnahmesituationen

Sprich mit Personen, denen du vertrauen kannst über deine Ängste und Probleme. Hol dir professionelle Hilfe und Unterstützung. Es gibt nichts wofür man sich schämen muss! Und es gibt nichts, was nicht besser werden kann! Es gibt für alle Probleme eine Lösung, auch wenn sie noch so ausweglos erscheinen!
Gib nicht auf, du bist nicht alleine ♥️

© Alex Franchi

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