Wandern – Nadines Rettung

Unter der Kategorie „Die Mutmacherinnen“, möchte ich Frauen aus unserer Community eine Möglichkeit bieten, um mit ihren Herausforderungen und Erfahrungen, anderen Mut zu machen. Egal, ob es sich um eine überwundene Krankheit handelt, um einen Schicksalsschlag oder ein anderes einschneidendes Erlebnis, alle Geschichten verdienen es erzählt zu werden.
*Triggerwarnung: Psychische Erkrankung

© Nadine

Mit den kommenden Worten möchte ich denjenigen Mut machen, die derzeit ebenso durch eine schwierige Phase in ihrem Leben gehen. Weiterzukämpfen und für sich einzustehen, auch wenn es manchmal erst viel zu spät gesehen wird!

Mein Lebenslauf ist kunterbunt, wenn man das so sagen kann. Schicksalsschläge und für mich belastende Ereignisse, welche schwierig für mich zu verarbeiten waren, haben mich bisher schon geprägt. Nichtsdestotrotz habe ich tagsüber versucht, meine Maske zu bewahren und immer mein Bestes gegeben, meine Ziele zu erreichen – beruflich, privat oder auch sportlich. Bewegung war für mich immer schon ein kleines Ventil, welches vor vielen Jahren beziehungsweise am Anfang noch gut funktioniert hat.

Doch immer wieder glitt mir trotzdem mein Leben aus den Händen. Seit 10 Jahren habe ich immer wieder Ärzt*innen aufgesucht oder auch Psychotherapien gestartet, die mir die Freude am Leben wieder zeigten und auch den Umgang mit Nervosität und Ängsten beibringen oder erklären sollten. Zusätzlicher Stress aus verschiedenen Gründen hat das ganze noch zugespitzt und es wurde immer schwieriger für mich, meinen Alltag normal und wie üblich zwischen den Sitzungen zu überbrücken.

Jahr für Jahr verlor ich immer mehr die Kontrolle über mein Leben: Panikattacken, Angstattacken, Isolation, das Fortstoßen von Menschen, Herzrasen, Schlafstörungen, Übelkeit, Magenbeschwerden, Hautausschläge, Gedankenkreisen, depressive Episoden und Tinnitus. Mein Umfeld hat es vorerst nicht verstanden und viele Freund*innen haben sich von mir abgewandt. Ich habe es dem Stress zugeschoben und hätte nicht gedacht, dass ich schon längst in einer psychosomatischen Erkrankung gelandet bin. Mein Leben hatte zu diesem Zeitpunkt schon länger keine Lebensqualität mehr: Ich musste ständig Treffen mit Freund*innen und meiner Familie absagen. Ich konnte keine Orte mit mehreren Menschen betreten. Ich konnte nicht reisen. Ich konnte die Haustüre nicht mehr aufmachen, aus Angst davor mit jemandem sprechen zu müssen. Ich konnte keine Filme mehr anschauen. Und diese Liste geht noch lange weiter… Aktivitäten, die ich früher gerne gemacht habe, waren unmöglich und lösten puren Stress und Angst aus. Die Angst war für viele Jahre jeden Tag anwesend, weshalb es für mich schon ein Normalzustand wurde, den ich gar nicht mehr bemerkt habe. Ich habe all meine restliche Energie in die Arbeit und Ausbildung gesteckt, denn diese waren etwas Greifbares und Sachliches, etwas woran ich mich festklammern konnte.

© Nadine

Meine Konzentration war nicht mehr vorhanden, ich war dauernd wie im Freiflug. Hat jemand etwas zu mir gesagt, konnte ich es nicht aufnehmen. Ich war konstant nervös und unter Anspannung, landete am Schluss in einem abgedunkelten Zimmer in einer Panikattacke. Ich hatte keine Energie mehr, sei es für Bewegung oder sonstige Aktivitäten. Viele Monate war tägliches Weinen mein Abschluss des Tages, eine Art Ventil, damit ich am nächsten Tag noch funktionieren konnte. Ich war einfach unglaublich erschöpft und müde, als wäre ich schon stundenlang am Rennen. Tag für Tag wurde der innere Druck schlimmer und es war mir nicht mehr möglich, aus diesem Teufelskreis herauszukommen. Alles war mit Angst behaftet. Ich konnte nicht mehr verstecken, dass ich ernsthafte Probleme hatte und habe eine psychosomatische Ambulanz aufgesucht

In der Ambulanz erhielt ich die Diagnose Generalisierte Angststörung mit einhergehender Depression, Depersonalisationsphänomenen, Schlafstörungen sowie Sozialer Phobie. Die Behandlung besteht auch heute noch aus der Kombination aus Therapie und der Einnahme von Medikamenten, die mir damals empfohlen wurden.

Lange Zeit habe ich nicht verstanden, warum ich diese Erkrankungen habe – ich war immer ein sehr fröhlicher Mensch und tauchte gerne in andere Kulturen ein. Kognitiv verstehe ich die Erkrankung zwar und teilweise sind mir auch die Ursachen/Gründe dafür bekannt. Aber es geht so viel tiefer, als ich es anfangs erahnen hätte können. Ich habe nun akzeptiert, dass es Zeit braucht. Ich finde es wichtig zu sagen, dass einen selbst keine Schuld trifft. Und es so wichtig ist, sich Hilfe zu holen.

Eine große zusätzliche Unterstützung war für mich persönlich in diesem Jahr Bewegung. Die ersten drei Monate meines Krankenstandes konnte ich kaum etwas bewirken. Selbst ein kleiner Spaziergang war zu anstrengend. Dann funktionierte leichtes Joggen. Aus leichtem Joggen wurden viele Kilometer und schlussendlich setzte ich meinen Heilungsweg in den Bergen fort.

© Nadine

Ich habe viele Berge in meiner Heimat bewandert. Die Berge zeigten mir die Ruhe, die ich eines Tages in mir selbst wiederfinden möchte. Sie haben mich gelehrt, dass ich auf meinen Körper achten und hören sollte. Dass ich nach einem anstrengenden, schweißtreibenden Aufstieg wieder eine schwache Verbindung zu meinem Körper spüren kann, die davor so schwer zu finden war und dadurch immer stärker wird. Dass wie die Natur eigentlich alles zeitlos ist. Und es wichtig ist, einfach zu sein. Auch wenn alles in unserer Gesellschaft dagegen zeigt.

Ich hatte riesengroßes Glück und wurde sehr gut aufgefangen. Ein Arzt, der sich wirklich um seine Patient*innen kümmert und sich Mühe gibt. Eine Therapeutin, die mir unglaublich viel Kraft gegeben hat, nicht aufzugeben. Familie und Partner, die mich nie fallengelassen haben. Dafür bin ich unglaublich dankbar. Aber ebenso habe ich all die Jahre viele Fehlgriffe erlitten. Ärzt*innen, die sich keine Zeit genommen und nicht richtig zugehört haben. Aussagen vom Umfeld, die wie eine Ohrfeige widerhallten. Heilpraktiker*innen, die einem helfen wollen, es aber eigentlich schon lange eine ganz andere Unterstützung benötigt hätte.

Es ist oftmals eine lange Sucherei bis man an die Menschen gerät, die für die individuelle Problematik die Richtigen sind. Deshalb kann ich jedem ans Herzen legen nicht gleich aufzugeben, falls man nicht sofort gehört oder verstanden wird.

Ich würde mir wünschen, dass man offener mit psychischen Erkrankungen umgeht. Dass es genauso eine Erkrankung ist und wie eine Wunde oder ein gebrochenes Bein Schmerzen bereitet. Nur, dass man sie nicht immer sehen kann und dementsprechend jeder Mensch davon betroffen sein könnte, ohne dass andere es merken. Ich wünschte, man würde etwas wohlwollender miteinander sowie besonders zu sich selber sein. Denn dieser Schmerz kann einen innerlich bis an den Abgrund treiben

Aber genauso bin ich mir bewusst: Es liegt an mir selbst wieder rauszukommen. Es ist ein langer Weg, der mit viel Zeit und Geduld behaftet ist. Auch wenn das Innere im Körper lange braucht zu heilen und psychische Erkrankungen sich in allen Facetten zeigen können: Du bist nicht alleine! Du kannst es schaffen. Und es gibt Menschen, die Dir weiterhelfen können.

Solltest du das Gefühl haben, dass du psychologische Hilfe brauchst, kannst du dich in Österreich z.B. an folgende Stellen wenden:

144 – Rettung, für akute Notfälle
142 – Telefonseelsorge
147 – Rat auf Draht für Kinder und Jugendliche

Weitere Informationen findest du hier: Notfallkontakte in psychiatrischen Krisen und Ausnahmesituationen

Sprich mit Personen, denen du vertrauen kannst über deine Ängste und Probleme. Hol dir professionelle Hilfe und Unterstützung. Es gibt nichts wofür man sich schämen muss! Und es gibt nichts, was nicht besser werden kann! Es gibt für alle Probleme eine Lösung, auch wenn sie noch so ausweglos erscheinen!
Gib nicht auf, du bist nicht alleine ♥️

© Nadine

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