Flaschenpost aus den Anden – Teil 2

Vom Komfort der westlichen Welt zum Leben im Amazonas

Stell dir vor, du spürst das sanfte Schaukeln der Wellen unter dir, hörst den Motor rauschen, fühlst eine leichte Brise frischer Luft auf der Haut und alles was du rechts und links von dir siehst, ist dichter Dschungel. Das ist es, was ich gerade um mich wahrnehme, während ich diese Zeilen schreibe. Ich befinde mich in Mitten des größten Flusses dieser Welt, dem Amazonas, auf einem Boot, das mich von Kolumbien nach Peru bringt. Die Geschichte, die ich jedoch heute mit dir teilen möchte, handelt nicht von einer Bootsfahrt über den Amazonas. Sie handelt von geografischen und mentalen Hürden, die ich überwinden musste, um heute überhaupt hier zu sein… Das könnt ihr jetzt in Flaschenpost aus den Anden – Teil 2 nachlesen!

Hab ich genug Mut dafür?

Vor genau 94 Tagen war es so weit: Ich hatte meinen Rucksack dem Flugpersonal übergeben und stand mit meinem Ticket in der Hand vor der offenen Tür des Flugzeugs. Ich drehte mich um und sagte zu meinem Freund: „Jetzt können wir noch umdrehen!”. Mir war heiß und kalt zugleich und ich wusste bei weitem nicht, worauf ich mich da eigentlich eingelassen habe. Ich hatte Angst, aber anstatt umzukehren und in meine gewohnte “Bubble” zurückzugehen, wusste ich, dies war meine Chance zu wachsen. Und ich stieg in dieses Flugzeug.

Die Ankunft in Bogotá, der Hauptstadt von Kolumbien, war regnerisch, grau und alles war hektisch und laut. Erstmal etwas überfordernd, vor allem auch, weil ich kein Internet für ein Uber auf meinem Handy hatte und mir in Österreich noch gesagt wurde, dass die Wahrscheinlichkeit entführt zu werden in einem Taxi wesentlich höher ist. Wundervoll. Müde von der Reise und der Zeitverschiebung, stiegen wir nichtsdestotrotz in ein Taxi und hofften einfach darauf, dass das Ziel unser Hostel und nicht irgendein Hinterhof im Ghetto sein würde… Schließlich ging alles gut!

Lena auf Reisen – Links: Am Amazonas River, Rechts: Mitten im Dschungel

Wenn kleine Hürden wie Berge erscheinen

Auch wenn der Start etwas holprig war, die ersten Tage in diesem neuen, uns bisher unbekannten Land, waren wirklich besonders. Alles faszinierte mich und ich war beeindruckt davon, dass das Leben hier so anders ist als das, was ich von zuhause kenne und gewohnt bin. Das Leben hier erschien mir bunter, chaotischer, langsamer und ohne System. Ich fand es toll, ich dachte mir: “Endlich mal was Anderes als das, was ich aus Österreich kenne und endlich mal weg von all den Regeln und dem strikten System”. Doch dieser Zauber hielt nur an bis die Grundbedürfnisse einsetzten und ich mir wünschte, dass die Suche nach einem simplen Restaurant, das kein Luxusladen, aber auch keine schmuddelige Frittierbude ist, mit einem Klick auf Google Maps bewältigbar wäre. Ach ja und vegetarisch sollte es auch noch sein. Ein Fremdwort für viele Menschen hier, wie mir schnell bewusst wurde. Wo bekomme ich jetzt bloß etwas zu essen her?

“Das Leben schrumpft und expandiert in Proportion zu deinem Mut.“

von Anaïs Nin (1903-1977), Schriftstellerin

Als Toast die Reise fast zum Scheitern brachte

Dieses Thema mag klein erscheinen, vor allem da es “doch wohl kein Problem sein kann etwas zu essen aufzutreiben”, wie mir bei Telefonaten mit Zuhause versichert wurde. Nach 3 Wochen kam aber ein Punkt an dem ich deshalb in Tränen ausbrach. Ich aß seit Tagen nichts anderes als Haferflocken mit Früchten, Nudeln mit Pesto oder Reis und hatte es satt. Buchstäblich, mir war der Appetit vergangen. Wir wollten sparen, um möglichst lange diesen Traum in Übersee leben zu können und kochten deshalb selbst. Da wir jedoch ständig unterwegs waren und nie wirklich sesshaft, mussten wir meist alles aufbrauchen, was wir kauften und so fielen die Gerichte oft sehr einfach aus. Außerdem ließ die Lebensmittelauswahl in den Supermärkten oft zu wünschen übrig.

Einmal wollte ich mir dann ein anderes Frühstück gönnen und entschied mich einzukaufen, egal was es kostet. Nach dem ersten Bissen in meinen Toast erkannte ich, dass dieser bereits einen grünen Rand vom Schimmel hatte, lief ein Fass in mir über, das zuvor von so vielen Eindrücken, die mich überwältigten, gefüllt wurde und in diesem Moment überschwappte. Ich habe tatsächlich zu schluchzen angefangen und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Alles war mir zu viel, und als mir dann auch noch bewusst wurde, dass mein einziger Rückzugsort ein 6er Zimmer mit 5 Männern und offenen Kojen war, wollte ich nur mehr heim. Ich dachte: “Das war´s, ich kann das einfach nicht!”. Doch das war erst Tag 21 und meine Reise drohte an Toast zu scheitern…

Alles auch mal anders: Bunter, chaotischer und langsamer.

Mir ist durchaus bewusst, dass ich hier über First-World-Problems spreche, aber genau dort komme ich her, aus dieser Welt im Überfluss. Diese Hürden sind mein Anpassungsprozess an ein Umfeld, welches oft nicht die mir bekannten, westlichen Standards bietet und in dem ich mich erst zurechtfinden muss. Also atmete ich ein Mal tief durch, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und versuchte Tag für Tag und Hürde für Hürde zu bewältigen. Das war schließlich meine Chance zu wachsen und ich wusste, dass dies einer der vielen Gründe ist, warum ich mich auf diese Reise begeben habe!

Keine Verpflichtungen, keine Regeln – ein echter Traum! (?)

Oh ja! Definitiv! Stell dir vor, du wachst in der Früh auf und du weißt, dieser Tag gehört mir und ich kann alles machen, was ich mir wünsche und niemand wird mir irgendetwas vorschreiben! So war es für mich in den letzten Monaten tatsächlich und die einzige Verpflichtung die ich hatte, galt meinem Freund und mir selbst gegenüber. Wir für uns. Ohne Plan und Ziel entschieden wir fast täglich wo es als nächstes hingehen soll, denn die Welt stand und steht uns offen (sofern man Visa Richtlinien beachtet, haha). Doch ich dachte auch, dass es dadurch einfacher wird, wenn wir ansonsten keine Verpflichtungen haben. Doch diese Vorstellung wurde schon bald von der Realität zerschlagen und ich merkte, dass Träume nicht immer gleichzeitig “traumhaft” sind.

“Hast du dir das so vorgestellt?”

Oh nein! Definitiv nicht! Mir wurde kürzlich folgende Frage gestellt: Wenn du zurück denkst auf die Zeit vor der Reise und die Fragen, die du dir damals darüber gestellt hast – denkst du, du hast sie dir mittlerweile beantwortet?. Um ehrlich zu sein: NEIN! Aber nicht aus dem Grund, dass ich noch mehr Zeit benötige, um sie mir zu beantwortet, sondern einfach, weil ich damals keine Ahnung davon hatte, dass die meisten Fragen und Probleme die ich mir vorgestellt habe so anders aussehen als die Realität hier. Ich merkte schnell, dass ich keine Ahnung davon hatte, über welche Hürden ich hier tatsächlich stolpern würde, da sie aus der Distanz so banal erscheinen, doch hier schon oft meine ganze mentale und emotionale Kraft erfordern.

Was mich bisher unter anderem total gefordert hat (und ja, Schmunzeln ist erlaubt – es geht mir ja rückblickend auch so):

  • Keine Privatsphäre – Dorms haben oft keine Trennwände zwischen den Betten und du schläfst buchstäblich Kopf an Kopf mit einer wildfremden Person. Um Hürden überwinden zu können, brauche ich oft einen ruhigen Rückzugsort und wenn dieser auch nicht gegeben ist, werden aus einer Hürde gleich zwei.

  • Kein warmes Wasser zum Duschen – das war meine Realität für über 1 Monat in Kolumbien. Meistens war es kein Problem, da es warm genug draußen war um eine kalte Dusche zu überstehen. Wenn du jedoch krank bist, die Temperatur sinkt und du nach Tagen endlich wieder mal deine Haare waschen möchtest, einfach um dich wieder besser zu fühlen, dann kann dies schon mal zu einem emotionalen Ausbruch führen. Und nein, die warmen Tränen unter der Dusche halfen nicht wirklich, dass mir wärmer wurde (haha).

  • Toilettenpapier und Klobrillen – zwei Dinge die zuhause eine sichere Sache sind, hier jedoch eine Rarität sind. Eine Sache, die ich schnell gelernt habe ist, immer und überall Taschentücher oder Klopapier mitzuhaben! Egal ob öffentliche Toilette in einem Tourismusgebiet oder in einem schönen Café, Klopapier gibt es meist keines und auch Klobrillen nicht. Was tust du aber, wenn du das alles nicht weißt, deine Regelblutung hast und beim Betreten der Kabine nicht bemerkt hast, dass diese Dinge fehlen? Oder du im Dschungel bist und nicht vom Weg abweichen kannst, weil es lebensgefährlich wäre? Hoffen, dass kein Malheur passiert. Diese Momente waren für mich oft ein Weltuntergang.

Ich bin über mich hinaus gewachsen

Ein Zitat von Anaïs Nin, das mich auf dieser Reise begleitet lautet: “Das Leben schrumpft und expandiert in Proportion zu deinem Mut.“ Und so schmerzhaft diese Realität oft war für mich, so stolz bin ich in diesem Moment auf mich, nicht die Hoffnung verloren zu haben (oder sie zumindest immer wieder gefunden zu haben). Ich stand oft davor einfach aufzugeben, weil ich mir einredete einfach nicht dafür gemacht zu sein. Mich ärgerte es wie einfach diese Hürden, vor denen ich oft stand, für andere Menschen zu überwinden schienen.

Meine Frage lautete oft einfach nur “WARUM?” und “WIE LANGE NOCH?”. Die Antworten darauf bekam ich nach etwa zwei Monaten auf Reisen. Ich bin eines Morgens aufgewacht und fühlte mich irgendwie anders. In mir hat sich etwas gelöst. Irgendetwas fehlte. Es war die ständige Last. Sie war weg. Dieser Tag markierte für mich den Tag an dem ich über mich hinaus gewachsen bin!

Das heißt nicht, dass ich meine Hürden jetzt easy peasy bewältige ohne Schwierigkeiten, aber ich kann sie jetzt besser erkennen, emotionalen Abstand bewahren und dadurch effizienter lösen. Weil ich nicht aufgegeben habe! Meist kennt man den genauen Zeitpunkt nicht, an dem es endlich leichter wird – aber lass mich dir eines sagen – dein Mut und dein Durchhaltevermögen werden belohnt und dieses Gefühlt ist unbeschreiblich schön!

Das war Flaschenpost aus den Anden – Teil 2. Wenn es Themen oder Fragen gibt, die ihr gerne im nächsten Post lesen möchtet, schreibt diese gerne in die Kommentare oder per DM auf Instagram an @lenas.wanderings oder @austrian.mountain.girls!


Flaschenpost aus den Anden – Teil 2

Lena Hutterer ist Austrian Mountain Girl der ersten Stunde und bereichert den Verein nicht nur dank ihrer schönen Bilder und Videos, die einzigartige Momente festhalten. Sondern auch dank ihrer authentischen und mitfühlenden Art und Weise – manchmal ganz sanft und zurückhaltend und manchmal quietschvergnügt und sprudelnd vor Energie!

Wir dürfen uns ab jetzt monatlich auf einen inspirierenden Beitrag von Lena freuen. Folgt ihr unbedingt auf Instagram, um auch zwischendurch Reise-Updates zu erhalten – @lenas.wanderings

Bereits am Blog erschienen: Lenas erste Flaschenpost aus den Anden findest du HIER!

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