Social Media ist eine falsche Welt. Eine Welt, die uns vorgaukelt, dass alles immer wunderbar, einfach und leicht ist – ganz besonders bei allen anderen. Denn von uns selbst wissen wir ja, dass diese Scheinwelt, die wir auf Social Media anderen als unser tägliches Leben präsentieren, mehr Schein und damit Fiktion ist. Dem soll dieser Beitrag auf die Spur gehen. Er soll zeigen, dass kein Leben perfekt ist und die traumhafte Bergsport-Welt auch zum Alptraum werden kann: Es geht um Training, den Drang perfekt zu sein, den Druck immer besser zu werden, Überforderung und Burn-out.
Schon vor vielen Monaten habe ich unseren Account genutzt, um eine Umfrage zu machen. Ich wollte wissen, wie es euch geht, wollte wissen, ob jemand mit mir über die gern ignorierte Schattenseite der perfekten Instagram-Welt sprechen möchte. Ich wollte wissen, ob euch schon mal alles zu viel war – Arbeit, Studium beziehungsweise Schule, Sport, Freund*innen, Familie und so weiter und so fort. Wir wünschen uns so sehr, alles unter einen Hut zu bekommen und unseren teils sehr hohen Ansprüchen gerecht zu werden, ja perfekt zu sein. Wir eifern unserer eigenen Idealvorstellung unseres Selbst nach und können dabei eigentlich nur scheitern. Wir sind verdammt dazu in diesem ewigen Wettkampf zu scheitern. Warum tun wir uns das dann überhaupt an? Woher kommt dieser enorme innere Druck, der uns jedes Mal aufs Neue fast von innen zerreißt?
Social Media und ganz besonders Instagram, kommen dabei natürlich ganz schlecht weg. Dass sich Menschen nur in guten und glücklichen Momenten vor der Kamera zeigen oder zumindest so tun, als wären es gute und glückliche Zeiten, ist doch ganz verständlich. Niemand zeigt sich gerne, wenn man traurig, niedergeschlagen ist oder gar weint. Wir posten also nur Momentaufnahmen unseres eigentlich so facettenreichen Lebens. Es sind Momentaufnahmen in denen wir lächeln, strahlen und uns von unserer „besten Seite“ zeigen. Was kurz davor oder danach passiert, erfährt keine*r. Und um ehrlich zu sein, frage ich mich oft, inwiefern die Austrian Mountain Girls diesen falsch positiven Trend noch zusätzlich befeuern, obwohl das überhaupt nicht das Ziel der Community ist.
Social Media ist ein Teil der Gesellschaft geworden und ganz besonders unserer Generation. Der Druck, der sich ohnehin in unserem perfektionistischen Inneren aufgebaut hat, wird dadurch noch mehr befeuert. Denn aus dieser heilen Instagram-Welt folgen unrealistische Erwartungen und auch Vorstellung über die Leben anderer. Der Gedanke, dass „bei allen anderen alles super ist“, drängt sich wahrscheinlich immer öfters auf. Dadurch pushen wir uns aber nicht nur selbst immer mehr ans Limit, sondern setzen auch in andere lebensferne Hoffnung. Ein vielschichtiger Kreislauf des Drucks entsteht.
Neben Social Media sind es auch Apps und Sportuhren, die uns immer wieder an hohe Trainingsziele erinnern und uns zum Sport motivieren sollen: „Diese Aktivitätsziele drängen einen manchmal dazu, mehr und mehr zu machen. Das wird dann zur Gewohnheit, immer höhere Ziele erreichen zu müssen.“, hat mir ein Mitglied der Community anvertraut. Dass Trainingspläne, die mithilfe von Apps erstellt werden, die oftmals nur wenige Parameter, wie Alter, Geschlecht, Gewicht, Größe und ungefähren Trainingsstand – wobei hier meist nur zwischen drei Leistungsniveaus ausgewählt werden kann – berücksichtigen und damit ganz bestimmt keinen idealen Plan für uns erstellen können, sollten wir wirklich nicht unterschätzen. Darüber hinaus sind wir meist berufstätig und/oder studieren, befinden uns in einer Ausbildung, haben Familie, Freund*innen, andere Hobbys und so weiter und so fort. Wir haben unsere ganz menschlichen Hochs und Tiefs, sind mal krank, mal fitter und mal von unserem Zyklus beeinflusst. Wir alle bringen unser Packerl mit an Vorerkrankungen, bereits erlebten Verletzungen und unsere ganz einzigartige Persönlichkeit. All das berücksichtigen Apps nicht. Sie setzen uns etwas vor, was letztlich gar nicht zu uns passt und obendrein an Menschlichkeit verloren hat.
„Auf einer Bergtour bekam ich Panik. Aber ich wollte immer weiter und weiter. Am Gipfel hat mein Körper gestreikt, es war einfach zu viel. Nur mit der Hilfe von Fremden bin ich wieder runtergekommen.„
Viele von euch haben mir davon erzählt, dass sie Sport nutzen, um sich selbst über psychische Krisen hinwegzuhelfen, was ja grundsätzlich eine gute Coping-Strategie darstellen kann, wenn die Aktivitäten adäquat eingesetzt werden. Rutschen wir allerdings in eine Situation hinein, in der wir uns durch Sport versuchen zu betäuben und, um zu vergessen beziehungsweise, um uns nicht mit unserem eigentlichen Problem auseinandersetzen zu müssen, kann das auch kritisch werden. Denn ja, auch von Sport können wir süchtig werden. Ähnlich wie unter dem Einfluss von Drogen, schüttet unser Gehirn auch beim Sport eine Reihe von „Glücksstoffen“ aus. Zusätzlich sind besonders danach Hirnareale besonders aktiv, die einfach ausgedrückt als „Belohnungszonen“ bezeichnet werden können. Sport macht also tatsächlich glücklich und lässt ins uns ein Gefühl entstehen, dass wir etwas getan haben, was allgemein als zufriedenstellend wahrgenommen wird. Ungesund wird es dann, wenn wir von diesen Eindrücken abhängig werden und diesen Glücks-Kick immer und immer wieder brauchen.
Dass das auch nach hinten losgehen kann, erzählt ein Community-Mitglied: „Bei mir kam es zu Müdigkeit wegen Schlafstörungen, obwohl ich so erschöpft war. Meine Leistung fiel immer weiter ab, obwohl ich ständig trainiert hab. Und ich hatte kaum noch Appetit, obwohl ich einen so hohen Kalorienverbrauch hatte.“ Sie hat damals glücklicherweise für sich erkannt, dass etwas falsch läuft und die Ausmaße des Sports nicht mehr gesund waren. Sie erkannte, dass ihrem Verhalten ein inneres Ungleichgewicht zugrunde lag und änderte schließlich – gerade noch rechtzeitig – ihr Verhalten. Solche Geschichten wurden mir während der Recherche immer und immer wieder erzählt. Betroffene sind nicht alleine, vermutlich finden sie sich nicht, weil man nicht gerne darüber spricht. Schon gar nicht auf Instagram. Sich zuerst selbst einzugestehen, dass das eigene Verhalten ungesund ist, gehört wohl zu den größten Herausforderungen überhaupt. Dann auch noch den Mut zu haben, das Verhalten nachhaltig zu ändern und sich dieser Challenge zu stellen, erst recht.
Doch es lohnt sich. Anstatt Kraftlosigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsproblemen, Schlaf- und Appetitlosigkeit, Niedergeschlagenheit, innerer Unruhe, dem erhöhten Risiko einer Verletzung beim Sport, dem Ausbleiben deiner Periode und noch vielen vielen Symptomen mehr, wirst du dich fitter, ausgeglichener und leistungsfähiger fühlen, wenn du dich mehr erholst und Übertraining umgehst. Zu rasten und zu regenerieren, bedeutet weder Faulheit noch Inkonsequenz oder zu verlieren. Im Gegenteil, es ist absolut notwendig auf ausreichend Erholungsphasen zu achten, denn damit gibst du deinem Körper und deinem Geist weitaus mehr, als mit noch einer zusätzlichen Trainingseinheit.